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Kjell sah von seinen Notizen auf und in die gelangweilten Augen von Greta Grundelius. Sie war eine Dreiviertelschönheit, die das fehlende Viertel durch Autosuggestion und aufwendiges Schminken auszugleichen versuchte. Ihr süßliches Parfüm trieb Kjell in dem engen Verhörraum in den Wahnsinn. Sie trug einen Rock, der übers Knie reichte und einen tiefen Schlitz hatte, einen englischen Pullover und Sommerstiefel.
„Einen Bart? Da seid ihr euch ganz sicher. Alle beide?“
Greta zuckte nur schnippisch mit den Achseln. Katherine jedoch nickte heftig. Sie verhielt sich umgänglicher als ihre Freundin Greta und wirkte ländlich in ihrem Sommerkleid.
Die beiden standen kurz vor der Volljährigkeit und hatten wie Linda im Frühjahr das Gymnasium verlassen.
Sie waren mit dem Zweier vom Odenplan gekommen. Der Bus war in der ersten Grünphase nach dem Unfall über die Kreuzung gefahren. Die Haltestelle lag gleich hinter der Kreuzung. Dort waren die beiden ausgestiegen, um auf dem Sveavägen nach Süden zu laufen. Ihr Ziel war ein Fest im Keller der Handelshochschule. Kjell notierte sich das genau. Vielleicht war das angefahrene Mädchen genau von dort gekommen.
Bald nach dem Aussteigen fiel Greta und Katherine auf, dass alle Autos angehalten hatten und die Menschen regungslos auf ein und dieselbe Stelle starrten. Die Mädchen blickten irritiert umher, bis Katherine den Körper auf der Fahrbahn entdeckte. Die Frau lag auf dem Rücken. Ein Mann kniete gebeugt über ihrem Gesicht und hatte es in seine beiden Hände genommen. Wie in Trauer, so hatte Katherine das empfunden.
„Echt heftig!“, wollte Greta unbedingt noch ins Protokoll aufnehmen.
Aufgrund dieser echten Heftigkeit hatten die beiden jungen Damen auch erstaunt verfolgt, wie der Mann die herbeieilende Polizistin bemerkte, die Frau losließ, sich aufrichtete und davonging. Er war in die kleine Seitenstraße abgebogen, dicht an Greta Grundelius und Katherine Ek vorbei. Sie hatten sogar Blicke mit dem Mann ausgetauscht.
Ein Vollbart und ein wehender Mantel. Kjell kam es merkwürdig vor, dass ein Mann bei dem schwülen Wetter, das vor dem Gewitter geherrscht hatte, einen Mantel getragen haben sollte. Ein ganz dünner Mantel sei das gewesen, erinnerte sich Katherine auf Kjell Nachfrage, weil er vom Wind erst steil aufgerichtet und dann an den Körper des Mannes gedrückt worden war.
Gretas Schilderung bereitete Kjell Unbehagen. Sie hatte die Ereignisse mit kalter Neugier betrachtet und erzählte beinahe begeistert, wie der Körper der Frau bei den Wiederbelebungsversuchen auf der Straße herumgehoppst war. Dennoch war es Greta zu verdanken, dass die beiden an Ort und Stelle gewartet hatten, bis der Zeitpunkt gekommen war, wo sie zu Theresa gingen und ihr von dem echt heftigen Mann erzählten.
Zum Abschluss fragte Kjell, ob zufällig irgendwelche rassistischen Bemerkungen gefallen seien an diesem Frühlingsabend. Davon hatten die beiden nichts gehört, der Junge hatte jedoch die vor ihm kniende Polizistin in den Hintern getreten.
„Aber nicht fest!“, ergänzte Katherine.
Draußen im Gang wartete bereits Barbro. Auf dem Weg zum Aufzug verglichen sie ihre Notizen und seufzten. Die Beschreibung des Mannes stimmte nur in der dunklen Kleidung überein. Barbros Mann war gerannt, bei Kjell hatten die Mädchen darauf bestanden, dass der Mann herbeigeeilt sei, ohne zu rennen. Aber hier war er angekommen, dort weggegangen. Außerdem bestand ein Größenunterschied. Gretas Mann war zwei Köpfe größer als der von Crister.
„Sollen wir noch einmal zurück und die Zeugen tauschen?“
Kjell schüttelte den Kopf. „Schick lieber den Zeichner zu ihnen. Ich will die Bilder vergleichen.“